Reisen mit Kind mit Trisomie 21 – ein Interview über Besonderheiten & Herausforderungen

Juni 18, 2020

Alle drei Minuten kommt ein Kind mit Trisomie 21, umgangssprachlich Downsyndrom genannt, zur Welt. Patrizias Sohn Elijah war vor ein paar Jahren einer davon. Einen Tag nach der Geburt sprach der Arzt eher beiläufig bei der Routinevisite den Verdacht der Chromosomenanomalie aus. Diese Nachricht traf die damals 22-jährige Mutter ganz unerwartet, denn sie war davon ausgegangen, dass Elijah ein kerngesundes Kind sei. In den Folgetagen erwartete Patrizia ein zähes Bangen und Zittern, bis dann aus dem Anfangsverdacht Gewissheit wurde: Diagnose freie Trisomie 21, die sich später als Mosaik-Trisomie herausstellte, eine abgeschwächte Form. Elijahs Körper besitzt eine Mischung aus gesunden und genetisch veränderten Zellen. Im Klartext bedeutet das, dass im Vergleich zur durchgehenden Trisomie 21 die physischen und psychischen Symptome, Einschränkungen und Defizite bei Elijah ein wenig milder ausfallen. Nachdem Patrizia die Nachricht verdaut hat, schöpfte sie schnell wieder neuen Mut – und noch im Krankenhaus beschloss die alleinerziehende Mutter, dass sie und ihr Kind mit Trisomie 21 reisen werden. Seit diesem Entschluss beweisen Patrizia und Elijah gemeinsam der Welt da draußen, wie herrlich besonders Elijah ist. Ein ganz besonderer Weltentdecker – halt mit einem Chromosom mehr im Reisegepäck!

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Interview: Kind mit Trisomie 21 – ein Chromosom mehr im Reisegepäck

Ich kenne Patrizia schon seit vielen Jahren, da wir tatsächlich vor langer Zeit mal gemeinsam in einer Agentur gearbeitet waren. Damals war Patrizia schwanger. Ihre Geschichte hat mich sehr berührt – und ich finde es extrem bewundernswert, wie positiv Patrizia trotz Trisomie 21 gemeinsam mit ihrem Sohn durchs Leben schreitet. Und was mich insbesondere beeindruckt, ist, dass Patrizia von Anfang an das Abenteuer Reisen mit Kind mit Trisomie 21 gewagt hat. Hut ab! Patrizia ist ein tolles, inspirierendes Beispiel für viele andere Eltern, die ebenfalls ein Kind mit Trisomie 21 haben und auch über eine gemeinsame Reise nachdenken, sich bis jetzt aber noch nicht so recht trauen. Und genau deswegen habe mit Patrizia dieses Interview geführt, welches in meinem Buch «Wenn ich groß bin, werd’ ich auch ein Machu Picchu – Ein Mut machender Ratgeber fürs Reisen mit Kindern» (hier kannst du übrigens eine Leseprobe runterladen) geführt. Und ich freue mich sehr, dass ich dieses Interview übers Reisen mit Kind mit Trisomie 21 mit der freundlichen Zustimmung meines Verlages Conbook auch auf meinem Blog veröffentlichen darf. 

Übrigens, dieses Interview besteht aus zwei Teilen. Zuerst spreche ich mit Patrizia (– die den wunderschönen, inspirierenden Instagram-Account @tree.21 hat!) über die Besonderheiten einer Reise mit einem Kind mit Downsyndrom und in der Fortsetzung erzählt Patrizia von ihrer Islandrundreise gemeinsam mit Elijah und ihrer Mutter. Und falls du Lust ein weiteres Buch von mir über meine Reisen durch 22 Länder mit meinem Kind kennenzulernen, dann schau mal hier.

Reisen mit Kind mit Trisomie 21

Elijah ist ein ganz besonderer Weltentdecker

Ein Mut machender Ratgeber fürs Reisen mit Kindern – Wenn ich groß bin, werd' ich auch ein Machu Picchu

Dieses Interview ist in meinem Mut machenden Ratgeber fürs Reisen mit Kindern «Wenn ich groß bin, werd‘ ich auch ein Machu Picchu» (Conbook Verlag) erschienen.

Patrizia, ab wann war für dich klar, dass du mit deinem Kind trotz Trisomie 21 reisen möchtest? 

In dem Moment, als der Arzt im Krankenhaus die Diagnose aussprach, war mir bewusst, dass Elijah und ich trotzdem reisen werden. Denn für mich war von Anfang an klar, dass das Downsyndrom kein Grund ist, nicht zu reisen. Vor der Geburt war ich selbst sehr reiseaffin, und meine Reisebegeisterung wollte ich trotz Elijahs Besonderheit nach Möglichkeiten weiterleben. Deswegen nahm ich mir vor, zumindest das gemeinsame Reisen auszuprobieren. 

Wie waren eure ersten gemeinsamen Reiseerfahrungen? Und wohin haben euch eure ersten Reisen geführt? 

Als Elijah ein halbes Jahr alt war, machten wir gemeinsam mit meiner Oma und meiner Mutter einen Pauschalurlaub in der Türkei, der super entspannt war. Eigentlich haben wir da nicht viel gemacht, außer am Pool oder am Strand zu liegen und das Leben zu genießen. Und weil es in der Türkei so gut mit Elijah geklappt hat, fühlte ich mich in meiner Reisemotivation bestätigt. 

Obwohl es mir damals schwerfiel, weil es mir wie ein Abstempeln vorkam, beantragte ich für meinen Sohn einen Schwerbehindertenausweis, der mir viele Vorteile brachte. Denn mit einem Schwerbehindertenausweis können zum Beispiel bei der Deutschen Bahn die Begleitpersonen gratis reisen. Und auch bei Tierparks, Schwimmbädern oder anderen Attraktionen und Sehenswürdigkeiten bekommen wir Ermäßigungen oder sogar den Eintritt erlassen. Von da an reisten Elijah und ich kreuz und quer durch Deutschland und unternahmen praktisch jedes Wochenende etwas. Elijah liebte das ständige Unterwegssein von Anfang an, und es störte ihn nicht, viele Stunden im Zug oder später im Flugzeug zu verbringen. Im Gegenteil! Für ihn war das Herumreisen richtig cool, und er entwickelte schnell seine Freude dran. Ich denke, dass das halt eine Sache der Gewohnheit ist. Und es scheint so, als ob ich Elijah – trotz Trisomie 21 – von klein auf mit meiner eigenen Reiselust angesteckt habe. 

Reisen mit Kind mit Trisomie 21

In meinem Ratgeber führe ich auch mit anderen Familien Interviews, z.B. zu den Themen Weltreise mit Schulkind und mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland.

Bevor eure gemeinsame Reiselust entfacht ist, was galt es aus medizinischer Sicht zu beachten? Gab es in eurem Fall besondere Risiken? Oder hattest du bezüglich Elijahs Trisomie 21 in puncto Reisen spezielle Ängste? 

Überhaupt nicht. Da Elijah aufgrund seines abgeschwächten Downsyndroms zum Glück keine wesentlichen organischen Beeinträchtigungen, etwa einen Herzfehler, hat, haben sich meine Bedenken vor der ersten Reise von den Bedenken anderer Mütter nicht unterschieden. Vor unserem Türkei-Urlaub habe ich mir lediglich Gedanken über ausreichenden Sonnenschutz gemacht und darüber, wie Elijah auf die Hitze reagieren und wie es mit Beikost ausschauen würde. Das war’s. 

Bei anderen Eltern, die ein Kind mit Downsyndrom oder vielleicht anderen Behinderungen haben, kann das natürlich anders aussehen. Viele Kinder müssen erst mal operiert werden oder haben ein schwaches Immunsystem, wo bereits ein harmloser Schnupfen gefährlich sein kann. In solchen Fällen empfiehlt es sich selbstverständlich nicht, mit seinem Kind sofort um die Welt zu reisen, sondern abzuwarten, bis sich der gesundheitliche Zustand des Kindes verbessert und stabilisiert hat. 

Was waren deine konkreten Sorgen vor der ersten Reise? Und wie sah dann die Realität vor Ort aus? 

Ich habe mir im Vorfeld keine speziellen Sorgen gemacht, die unmittelbar mit Elijahs Diagnose zu tun haben. Meine Gedanken kreisten eher um die Fragen: Wie mein Baby den Flug überstehen würde? Ob er im Flugzeug Druck auf den Ohren haben würde? Oder wie er mit dem Klimawechsel in der Türkei klarkommen würde? Doch meine ganzen Sorgen waren überflüssig, denn Elijah schlief den ganzen Flug über, und auch mit der Akklimatisierung vor Ort kam er super zurecht. 

Und wie sahen eure nächsten Reisen aus? In welche Länder seid ihr noch gereist? 

Gemeinsam mit einer Freundin, die ebenfalls eine Tochter mit Downsyndrom hat, waren wir viel unterwegs. Wir waren zum Beispiel in Paris im Disneyland, haben eine Italienreise gemacht, waren in Barcelona und sind sogar zusammen nach Brasilien geflogen. Zu dem Zeitpunkt war Elijah dreieinhalb Jahre alt. Sein Vater ist Brasilianer, und deswegen war es mir besonders wichtig, meinem Sohn zu zeigen, wo seine Wurzeln liegen. In Rio de Janeiro waren wir insgesamt zwei Wochen lang und haben da einen tollen Mix aus typischem Touri-Programm mit Zuckerhut, Jesusstatue, einer Favela-Besichtigung und natürlich faulen Strandtagen gemacht. 

Wie waren die Begegnungen in anderen Ländern für euch? Wie haben die Menschen auf dein Kind mit Trisomie 21 reagiert? 

Ich kann sagen, dass die Menschen auf unseren Reisen uns gegenüber immer viel offener sind und ohne Scheu mit uns interagieren – halt ganz normal. Das ist in Deutschland anders, wo Kinder mit Downsyndrom oder anderen Behinderungen oft ausgeschlossen werden oder man ihnen eben anders begegnet. Verhaltener und teilweise auch etwas angeekelt. In Brasilien zum Beispiel hatten wir am Strand an der Copacabana eine tolle Begegnung. Wir haben eine ältere Brasilianerin kennengelernt. Elijah ging zu ihr hin, und sie ging liebevoll auf ihn ein, streichelte seinen Kopf und machte Späßchen mit ihm. Offensichtlich hatte sie keine Berührungsängste, und es schien für sie keine Rolle zu spielen, dass mein Sohn Downsyndrom hat. Irgendwann sah ich, dass Elijah eine Rotznase hatte, und wollte gerade zu ihm rübergehen, um ihm mit einem Taschentuch die Nase abzuwischen, doch ehe ich bei ihm ankam, hatte sie meinem Kind mit ihrem feinen Seidentuch, das sicherlich teuer war, die Nase abgewischt. So, als ob es das Normalste der Welt wäre. 

Als wir dann wieder in Deutschland waren, erlebten wir das krasse Gegenteil. In einem Restaurant saß uns gegenüber ein Pärchen. Elijah ging mit seiner unbefangenen Art rüber und hatte sich kurz an die Frau rangeschmiegt. In dem Moment konnte ich klar erkennen, wie die beiden angewidert das Gesicht verzogen. Dabei hatte Elijah jetzt keine laufende Nase, Sabber am Mund oder schmutzige Hände. Ich weiß nicht, ob die beiden vielleicht allgemein Kinder nicht mochten oder ihre übertriebene Reaktion auf die Besonderheit meines Sohnes zurückzuführen war, dennoch hat mich ihr Verhalten sprachlos und natürlich auch traurig gemacht. Und ich muss sagen, dass wir solche Begegnungen ausschließlich in Deutschland und nicht im Ausland gemacht haben. 

Reisen mit Kind mit Trisomie 21

«In dem Moment, als der Arzt die Diagnose der Trisomie 21 aussprach, war mir bewusst, dass ich trotzdem mit meinem Kind reisen werde.»

Und hast du eine Idee, wohin die nächste Reise mit deinem wunderbaren Sohn geht? 

Als nächstes wird es wohl nach Fuerteventura oder Ägypten gehen. Aber ich spare schon fleißig für unsere nächste Fernreise, und zwar nach Mauritius oder auf die Seychellen. Elijah und ich wollen nämlich unbedingt mal mit Wasserschildkröten schnorcheln. Und ich träume davon, mit Elijah eine Delfintherapie zu machen. 

Zum Abschluss dieses Interview-Parts: Patrizia, welche Botschaft würdest du Eltern, die ein Kind mit Trisomie 21 oder anderen Einschränkungen haben und sich deswegen nicht zu reisen trauen, mitgeben? 

Egal ob das Kind eine Behinderung hat oder nicht, traut euch einfach! Macht es, denn dann weiß man auch, wie es ist, mit seinem Kind zu reisen, und ob es funktioniert oder nicht. Und schaltet eure Angst ab, denn Angst hemmt uns, die Welt zu entdecken und Abenteuer zuzulassen. 

Reisen mit Kind mit Trisomie 21

«Egal ob dein Kind eine Behinderung hat oder nicht, trau dich zu reisen. Und schalte deine Angst ab, denn Angst hemmt uns, die Welt zu entdecken und Abenteuer zuzulassen.»

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Über Patrizia Kurdziel

Ich bin Patrizia, alleinerziehend und genieße das Leben mit meinem Sohn Elijah. Wir haben die Herausforderung mit seiner Besonderheit angenommen und versuchen in jeder Situation das Beste zu machen. Mit unserem Instagram-Kanal @tree.21 wollen wir aufklären, zum Thema ›Inklusion‹ beitragen und die gesellschaftlichen Berührungsängste mit Behinderungen abbauen. Wenn du unseren Alltag und unsere weiteren Projekte verfolgen möchtest, schau gerne vorbei. Zudem haben wir unsere eigene Kollektion in unserem Online-Shop Tree 21 rausgebracht, um Elijah eine Delfintherapie zu ermöglichen. Weitere Infos hierzu findest du auf Instagram in den Story-Highlights.

Reisen mit Kind mit Trisomie 21

Fotocredits: ©Patrizia Kurdziel

 

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