Corona in Südamerika: Wie mein Kind & ich im letzten Moment aus Paraguay wegkamen

Mai 4, 2020

Ich schreckte aus dem Schlaf auf. Obwohl die Klimaanlage voll aufgedreht war, spürte ich Schweißtropfen auf meiner Stirn. Um mich herum war es stockduster. Einen kurzen Moment musste ich mich sammeln. Wo war ich? Was war passiert? Doch wenige Sekunden später fiel es mir wieder ein. Und ich spürte erneut den dicken Kloß in meinem Hals. Ich war mit meinem Kind in Paraguay in der Hauptstadt Asunción. Seit zwei Stunden schrieben wir das Datum 18.03.2020. Wir waren gestern Abend völlig geschafft hier im Hostel angekommen, nachdem mein Kind und ich zuvor fluchtartig die Stadt Encarnación verlassen hatten. Warum wir aus Encarnación plötzlich geflüchtet waren? Weil sich aufgrund der weltweiten Corona-Krise die Ereignisse jetzt auch in Paraguay überschlagen hatten. Ich war immer noch ganz benommen von der rasanten Geschwindigkeit, mit der die Corona-Pandemie mittlerweile auch Mittel-und Südamerika in eine lähmende Schockstarre versetzte. Während Europa viel früher gegen dramatisch ansteigende Zahlen der Corona-Infizierten zu kämpfen hatte, kam ich während meiner 4-monatigen Reise durch Südamerika mit Kind (Ecuador, Peru & Bolivien) kaum in Berührung mit dem Thema. Doch plötzlich – gefühlt von einem Tag auf den anderen – bahnte sich der Corona-Virus seinen Weg auch über den Atlantik und legte schlagartig und mit drastischen Maßnahmen das alltägliche Leben in Lateinamerika lahm. 

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Kurze Info: Dieser Artikel ist die letzte Folge meiner Serie «Corona – gestrandet als Familie in einem anderen Land», in der Eltern von ihren Erfahrungen und Emotionen erzählen, als sie die Auswirkungen der Corona-Situation und der unerwartete Lockdown plötzlich auf Reisen erwischt hat. Hier findest du die anderen Geschichten:

Corona in Südamerika – gestrandet mit Kind in Paraguay

Nur ein paar Tage zuvor war die Welt in Paraguay noch in Ordnung … hier waren wir auf einer Ranch in Paraguay

Drastische Entwicklung in Südamerika & Mittelamerika

Mit großem Unbehagen hatte ich die Tage zuvor aus meinem Krankenbett in Areguá in Paraguay die Nachrichten über die Corona-Krise in Mittel- und Südamerika verfolgt. Während ich mit Fieber, Glieder- und Kopfschmerzen das Bett hütete, ließen mich die Nachrichten, die ich vor allem in den sozialen Medien verfolgte, erschaudern. Nach und nach schlossen die einzelnen Länder in Lateinamerika ihre Grenzen. Zuerst überwiegend in Mittelamerika, zum Beispiel Panama & El Salvador, und jetzt auch verstärkt in Südamerika. Die Nachbarländer fingen an, sich vollkommen abzuschotten. Und sie verhängten nach und ein absolutes Reiseverbot und strenge Ausgangssperren. Immer häufiger schossen mir Fragen durch den Kopf: Was sollte ich tun? Sollte ich meine Südamerikareise mit Kind vorzeitig abbrechen? So schnell wie möglich nach Deutschland kehren? Den südamerikanischen Kontinent verlassen, solange es noch möglich war …?

Ja, ich hätte viel schneller reagieren sollen …

Rückblickend betrachtet, hätte ich viel schneller reagieren sollen. Hätte nicht abwägen und zögern dürfen. Ich hätte SOFORT meine Südamerikareise mit Kind abbrechen sollen. Doch zum jenen Zeitpunkt war es sehr schwierig, in der undurchsichtigen Situation den Überblick zu bewahren. Und schier unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Mann, der in Deutschland geblieben war, erzählte mir von der aktuellen Lage daheim. Die Corona-Krise hatte auch Deutschland schlagartig überrollt. Ganz Deutschland war ratlos. Was die Menschen in der nahen Zukunft erwarten würde. Und jeder hatte Angst, dass die schrecklichen Bilder aus Italien und Spanien sich auch in Deutschland ereignen könnten. Mein Mann riet mir, dass mein Sohn und ich zurück nach Deutschland kommen sollten. Doch ich war noch nicht bereit, meine Reise durch Südamerika mit Kind so schlagartig zu beenden. Insgeheim hoffte ich, dass die Corona-Krise Paraguay verschonen würde. Fakt war, dass die Situation zu jenem Zeitpunkt in Paraguay noch relativ entspannt war: Bis dato gab es in Paraguay offiziell „nur“ drei Menschen, die sich mit Corona infiziert hatten. Zwar wurden unmittelbar danach die Schulen und Kindergärten geschlossen und alle Veranstaltungen abgesagt, aber Ausgangssperren gab es in Paraguay noch nicht. War ich in Paraguay mit meinem Kind eventuell sogar besser aufgehoben als in Deutschland? 

Corona in Südamerika – gestrandet mit Kind in Paraguay

Ein paar Wochen zuvor ich und mein Kind in Machu Picchu in Peru.

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Corona in Südamerika: Reiseverbot und Ausgangssperren

Völlig überfordert und in guter – sicherlich auch naiver – Hoffnung, dass sich das Blatt bezüglich Corona in Südamerika noch wenden könnte, beschloss ich, in den Süden Paraguays nach Encarnación zu fahren und mietet mir dort für einen längeren Zeitraum eine Wohnung. Als ich den Schlüssel in Encarnación in der unmittelbaren Nähe der argentinischen Grenze, überreicht bekommen habe, war Montag, der 16.03.2020. Morgens freuten mein Kind und ich uns noch, dass wir endlich auf unserer Reise durch Südamerika eine eigene Wohnung mit Ausblick auf den Fluss hatten und ein wenig zur Ruhe kommen konnten. Dennoch beobachtete ich fast stündlich das turbulente Geschehen in den Nachbarländern. Und dieses ließ mir den Atem stocken: Perú hatte am selbigen Tag ein Reiseverbot und eine Ausgangssperre verhängt, welche ab Mitternacht in Kraft treten sollten. Bolivien ebenfalls. Die Grenzen nach Argentinien und Chile waren bereits seit 2-3 Tagen zu. Angesichts dieser Nachrichten wurde ich immer unsicherer. Doch ein paar Stunden später wurde meine Unsicherheit von einem felsenfesten Entschluss abgelöst. Als ich abends gegen 20.30 Uhr den Fernseher einschaltete, sah ich zufällig, wie der paraguayische Präsident Benítez live eine Ansprache hielt. Die paraguayischen Grenzen hatten ohne Vorwarnung zugemacht, die Flüge nach Europa wurden bis auf weiteres gestrichen und ab 18 bis 6 Uhr mussten die Menschen in ihren Häusern bleiben. Ausgangssperre. Mein Herz pochte! Die Lage wurde sehr ernst. Und ich bekam es mit der Angst zu tun, dass mein Kind und ich nicht mehr vom südamerikanischen Kontinent kämen. Brasilien war bis dato das einzige Land in Südamerika, dessen Grenzen noch offen waren. Aber wie lange noch?

Ich musste SOFORT handeln!

Ich legte meinen Sohn ins Bett und buchte anschließend sofort unseren Rückflug von Asunición über São Paulo in Brasilien nach Deutschland um. Ich wollte jetzt so schnell wie möglich nur noch raus aus Südamerika. Der nächstmögliche Flug ging am Freitag, den 20.03., – also in knapp 87 Stunden. Okay, das war überschaubar, dachte ich und mir fiel vorerst ein riesiger Felsbrocken vom Herzen. Doch am nächsten Morgen erwartete mich eine Hiobsbotschaft, die mich erstarren ließ. Ich verspürte Anflüge von Panik. Eine Mail von der Fluggesellschaft KLM: unser Flug von São Paulo nach Amsterdam wurde annuliert. Es gab keine Möglichkeit, umzubuchen und die Hotline von KLM war nicht erreichbar. Was tun? Ich hatte also zwar noch einen Flug (würde er überhaupt gehen?)  von Asunción nach São Paulo in 3 Tagen, aber keinen nach Europa. Mir war klar, dass ich handeln musste. Und zwar SOFORT! Während ich in Windeseile unsere Sachen packte, versuchte ich die Deutsche Botschaft zu erreichen. Ohne Erfolg. Ich schrieb eine Mail an die Botschaft, übergab meiner Vermieterin wieder den Schlüssel und fuhr mit dem nächsten Bus zurück in die Hauptstadt Asunción. Obwohl ich noch keine Ahnung hatte, wie es für mein Kind und mich weitergehen sollte, wollte ich jetzt erstmal in der Nähe des Flughafens sein. Das war mein grober Plan. Einen detaillierten Plan hatte ich erstmal nicht …

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In Asunción erwartete mich eine bedrückende Stimmung

In Asunición im Hostel angekommen, spürte ich sofort die bedrückende Stimmung. Sowohl die wenigen Gäste als auch die Mitarbeiter waren extrem beängstigt. Der Besitzer erzählte mir, dass wir zwar für eine Nacht bleiben könnten, dass er sich aber nicht sicher war, ob er vielleicht schon morgen sein Hostel schließen würde. Na, prima, dachte ich. Der Corona-Virus hatte also binnen weniger Tage auch das alltägliche Leben in Paraguay lahmgelegt. Und ich hatte das ungute Gefühl, dass es am Freitag eventuell schon zu spät sein könnte, um vom südamerikanischen Kontinent wegzukommen. 

Gestrandet in Paraguay – eine neue Lösung musste her

Zurück zum Zeitpunkt, wo ich nachts schweißgebadet um 2 Uhr in unserem Hostel-Zimmer in Asunción aufgewacht war. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich checkte meine Mails und fand im Postfach eine Antwort von der Deutschen Botschaft. Ich sollte so schnell wie möglich nach Deutschland fliegen, da sie davon ausgingen, dass auch Brasilien (zu jenem Zeitpunkt waren Brasilien und Mexiko die einzigen Länder in Süd- und Mittelamerika, von wo aus noch Flüge nach Europa gingen) seine Grenzen schließen und den Flugbetrieb nach Europa einstellen würde. Eine Rückholaktion aus Paraguay sei nicht geplant … Während mein Sohn friedlich neben mir schlief, kämpfte ich gegen meine Tränen an. Ich musste einen klaren Gedanken fassen! Ich musste sofort eine neue Lösung finden! Denn noch zwei weitere Tage abwarten, bis unser Flug nach São Paulo ging (und was dann eigentlich?), war jetzt ein sehr fragiler Plan. Ich rief meinen Mann an. Bei ihm in Deutschland war es mittlerweile 6 Uhr morgens. Gemeinsam gingen wir mehrere Optionen durch: Einen neuen Flug online buchen? Ging nicht! Bis Freitag abwarten? Viel zu riskant! Notfalls in Brasilien bleiben? Oder in Paraguay bleiben? Puh … Wir waren uns im Klaren darüber, dass das bedeuten könnte, dass mein Kind und ich monatelang in Südamerika abwarten müssten, bis sich irgendwann die Corona-Krise in Südamerika entspannen sollte. Ganz schön waghalsig!

Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten

Irgendwann meinte mein Mann: Ich fahre jetzt zum Hamburger Flughafen und versuche einen Mitarbeiter von KLM persönlich zu sprechen. Der müsste uns dann doch sagen können, wie wir weitervorgehen sollen, oder? … Etwa 2 Stunden später rief mich mein Mann wieder an. Er hatte eine schlechte Nachricht für mich. KLM hat am Hamburger Flughafen gar kein Büro. Aber er hatte auch eine gute Nachricht. Er hatte einen Schalter entdeckt, an dem man nur für den jeweiligen Tag Flüge buchen konnte. Soll ich das machen? Für euch einen Flug noch heute von Asunición nach Deutschland buchen? In dem Moment konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie kullerten über meine Wangen und mein „Ja“ glich eher einem Schluchzen.

Hauptsache weg aus Südamerika!

Die ganze Anspannung war in diesem Moment von mir abgefallen. In ein paar Stunden würde also unser Flug von Asunción über São Paulo und Madrid nach Hamburg gehen. Dieser Flug kostete zwar ein halbes Vermögen und war 50 Stunden (!) lang, aber das war mir egal. Hauptsache weg aus Südamerika! Hauptsache zurück nach Deutschland! Ganz ehrlich, ich hätte niemals zuvor gedacht, dass ausgerechnet ICH so etwas mal sagen würde …

Ein Nervenritt: von Asunición nach São Paulo & dann hoffentlich nach Europa

Unser Rückflug glich einem Nervenritt. Vorm Flughafen in Asunción standen sehr viele Soldaten. Bevor wir das Flughafengebäude betreten durften, haben mindestens fünf unterschiedliche Menschen akribisch unsere Flugtickets geprüft und Fieber gemessen. Auf der Anzeigetafel sah ich, dass ein Flug nach dem anderen gecancelt wurde. Ich betete, dass unser Flug nicht betroffen sei. Beim Boarding machte ich drei Kreuze, unseren Weg nach Brasilien würden wir schaffen. Aber würde unser Flieger nach Europa auch gehen? In São Paulo mussten wir 22 Stunden im Transfer warten. Weitere 22 Stunden zittern und bangen. Auf einem Bildschirm las ich am Donnerstag morgens (19.03.), dass Brasilien gerade die Landesgrenzen zugemacht hatte. Was für ein Glück, dass wir schon in Brasilien waren. Der Präsident Bolsonaro hatte verkündet, dass Flüge nach Europa ab Montag eingestellt würden. Wenige Stunden später stieg ich also in einer der letzten kommerziellen Flieger von Südamerika nach Europa. Und ich wurde mir dessen bewusst, wie knapp die Geschichte war. Wir hatten es nur um eine Haaresbreite, alleine aus Südamerika geschafft. Wir hatten ein rieeesssen Glück! Denn Tausende von Deutsche und Europäer hatten es nicht rechtzeitig aus Mittel- und Südamerika geschafft. Sie mussten wochenlang abwarten, bis sie die Möglichkeit einer Rückholaktion wahrnehmen durften.

Corona in Südamerika – gestrandet mit Kind in Paraguay

Kleiner Nachtrag: Als ich bereits in unserer „sicheren“ Heimat zurück war, erhielt ich am 27.03. nachts eine Mail von der Deutschen Botschaft (Info: ich hatte zuvor mein Kind und mich in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes eingetragen). Die Bundesregierung hatte mittlerweile beschlossen, doch einen Rückholflug aus Asunción zu organisieren, um gestrandete Deutsche und andere Europäer aus Paraguay rauszuholen. Dieser Flug ging am 30.03.2020.

Insgesamt hat die Bundesregierung wegen der Corona-Pandemie weltweit über 240.000 gestrandete Deutsche zurückgeholt.

 

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1 comment

  1. Comment by Martina

    Martina Reply Februar 4, 2021 at 6:20 pm

    Liebe Gabriela, gerade habe ich deinen Blogbeitrag gelesen und mir sind Tränen in die Augen gestiegen. Wir hatten beinahe eine identische Situation. Auch ich stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch, als der peruanische Präsident im Fernsehen verkündete, dass in Kürze die Grenzen geschlossen werden würden. Auch uns war bewusst, dass diese Grenzschließung Monate dauern könnte. Und so riefen wir die Botschaft an, suchten nach Routen aus Südamerika, die noch offen waren. Immer wieder hieß es, wir hätten keine Chance. Und dann kamen wir (ich, mein Mann und unsere 2 Kinder) doch noch, unter den letzten Passagieren aus Peru raus. Eine halbe Stunde, bevor Kolumbien dicht machte, stiegen wir dort in den Flieger. Erst dann ein Aufatmen. Alleine wäre dies alles wohl nicht so schlimm gewesen, da wir Familie in Peru haben, aber mit Kindern ist das einfach nochmal eine andere Nummer. Und so wurden auch wir von heute auf morgen von Corona überrollt … komplett. In Deutschland angekommen und direkt in den Lockdown. Irgendwie alles wie ein verrückter Traum, wenn ich heute zurückdenke. Lieber Gruß, Martina

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