Corona in Bolivien – und plötzlich sieht die Welt ganz anders aus!

April 2, 2020

Stell dir vor, du kommst gerade von einem atemberaubenden Abenteuer zurück. Bist immer noch super geflasht von der unbeschreiblichen Natur in der bolivianischen Salzwüste Salar de Uyuni. Unterwegs in deinem eigenen Bus und gemeinsam mit der Familie hast du farbenprächtige Lagunen, schneebedeckte Vulkane, stolze Flamingos und die unbeschreiblichsten Landschaften gesehen. Langsam kommst du wieder zurück in die Zivilisation und begegnest einer völlig verdrehten Welt. Überall stehen Polizisten mit Schlagstöcken, Militär mit Gewehren und die Straßen sind gesperrt. Was ist passiert? Der Coranavirus hat den Alltag in Bolivien Schlag auf Schlag verändert. Die Grenzen zu den Nachbarländern sind gesperrt. Alle Flüge wurden eingestellt. Und Angi, ihr Kind und Mann sitzen plötzlich in Bolivien fest … (hier findest du ihren Insta-Account «berteli_unterwegs»)

Kurze Info: «Corona – gestrandet als Familie in einem anderen Land» ist eine kleine Serie, in der Eltern von ihren Erfahrungen und Emotionen erzählen, als sie die Auswirkungen der Coronasituation und der unerwartete Lockdown plötzlich auf Reisen erwischt hat. Hier findest du alle Geschichten:

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Liebe Angi, du befindest dich gerade mit deinem 5-jährigen Kind und Mann in Bolivien und steckst aufgrund der weltweiten Corona-Lage mit deiner Familie fest. Magst du mir etwas über eure Südamerikareise erzählen?

Mein Mann träumte schon seit 17 Jahren von einer einjährigen Südamerikareise mit Kind. Da ich in Brasilien aufgewachsen bin und erst mit 12 Jahren in die Schweiz kam, brauchte er nicht lange, um mich von dieser Reise zu überzeugen. Vor drei Jahren haben wir unseren Bus gekauft und langsam ausbauen lassen. Als Michis Großmutter starb und uns etwas vererbt hatte, war für uns klar, dass alles in den Bus fließen wird. „Man weiß nie, was im Alter kommt. Reist so lange ihr jung seid!“ – das war ihr Standardspruch. Deshalb heißt unser ehemalige Feuerwehrbus ihr zu Ehren ‚Berteli‘, Verniedlichung von Berta. Geplant waren: Uruguay, Südbrasilien, Paraguay, Argentinien, Chile, Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien.

Corona in Bolivien – eine gestrandete Familie erzählt

Gab es bei eurer Einreise nach Bolivien bereits Einschränkungen auf Grund des Coronavirus’?

Wir wussten, dass sie im Begriff waren, Grenzen zu schließen. Deshalb haben wir uns lange überlegt, ob wir nach Bolivien einreisen sollen. Wir wollten aber unbedingt die Lagunenroute machen – für mich einer der unglaublichsten Orte der Welt. Und das haben wir nicht bereut. Unberührte Natur, wunderschöne Landschaften, Schneeberge, Seen in allen Farben, Lamas und Flamingos. Worte werden diesem Ort nicht gerecht. Nach drei Tagen Einsamkeit kamen wir in San Cristobal an und waren erstaunt über die Maßnahmen, welche Bolivien in der Zwischenzeit unternommen hat. Das Fahren mit dem Auto war nur noch bis 17 Uhr erlaubt. Die Läden waren nur bis 15 Uhr offen, ansonsten war das Arbeiten nur bis 13 Uhr erlaubt. Die Salzwüste von Salar de Uyuni konnte nur von 5-17 Uhr besucht werden. Da wir die Salzwüste unbedingt sehen wollten, fuhren wir zur Polizei und fragten nach, ob wir da übernachten dürften. Sie gaben uns grünes Licht und wir machten uns sofort auf den Weg. Auf der Salar hatte es scheinbar geregnet. Wir hatten überall Wasser und trauten uns zu Beginn gar nicht reinzufahren. Nachdem wir einen Lastwagenfahrer gefragt hatten, taten wir es dann doch. Das Wasser war zwischen 2-10 Zentimeter tief. Es spritzte bis zum Seitenspiegel hoch. Aber es war ein unglaubliches Gefühl, auf der Salar zu fahren. Durch die Spiegelungen im Wasser konnte man nicht erkennen, wo der Boden aufhört und die Berge und Inseln anfangen. Eine surreale, wunderschöne weiße Landschaft.

Corona in Bolivien – eine gestrandete Familie erzählt

Corona in Bolivien – eine gestrandete Familie erzählt

In der Salzwüste Salar de Uyuni seid ihr dann länger geblieben als geplant. Was ist passiert?

Wir haben uns schlau gemacht und wussten, dass wir auf keinen Fall auf die Inseln fahren dürfen, da man stecken bleiben kann. Unser Plan war, eine Nacht vor einer Insel zu übernachten und am nächsten Tag weiter zu fahren. Als wir 100 Meter vor der Insel mit der Cueva del Diablo entfernt standen, wollten wir das Auto nur kurz drehen, damit wir mit unserem Aufstelldach nicht im Wind stehen. Wir sind nur einen Meter nach vorne gerollt und spürten sichtlich, wie unser Auto durch die Salzdecke in Schlick und Schlamm stürzte. Da unser Auto ziemlich hoch ist, 4×4 und Untersetzung hat, haben wir uns zu Beginn keine Sorgen gemacht. Wir kommen raus, das ist klar. Wir wurden bald eines Besseren belehrt. Unter dem Sand liegt Schlamm und Schlick, der unglaublich klebt. Beim Versuch rauszukommen sind die Räder durchgedreht, weshalb wir mit dem Bus immer tiefer sanken. Nach einem Tag schaufeln und harter Arbeit mussten wir einsehen, dass wir Hilfe brauchen. Es war aber niemand unterwegs und der nächste Ausgang 29 Kilometer entfernt… 

Zu unserem Glück hatten wir gaaaanz schwaches Netz mit unserem Schweizer Handyanbieter. So konnten wir uns Hilfe bei unseren Freunden organisieren, auch wenn es etwa 5-6 Stunden dauerte, bis die Nachricht durch war. Am dritten Tag kam unsere Rettung. Saul, ein Tourguide der Salar, kam mit seinem Vater und seiner Frau, um uns zu helfen. Die Rettung dauerte 2 Tage. Einfach Rausziehen ging nicht, da unser Auto inzwischen bis auf die Achsen eingesunken war. Mit einem dünnen Baumstamm hakten wir unten in der Felge ein und alle Erwachsenen mussten sich mit dem ganzen Körpergewicht an den Baumstamm hängen. Dadurch wurde das Rad hochgehoben. Dann kamen Steine von einer benachbarten Insel (14 Kilometer entfernt) unter das Rad. Dieses Spiel wurde über Stunden und bei allen 4 Reifen fortgesetzt. Wenn der eine Reifen erhöht war, senkte sich der auf der anderen Seite wieder ab. Als unsere Helfer nach dem ersten Tag nach Hause fuhren, dachten wir, dass unser Auto verloren ist. Unser Wasser neigte sich dem Ende und wir waren wirklich verzweifelt. Nach 3 Nächten und 4 Tagen war der Spuk endlich vorbei. Wir hatten es mit Hilfe von Saul und seiner Familie geschafft. Endlich frei. Ein Gefühl der Erleichterung und Dankbarkeit breitete sich in uns aus.

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Als ihr dann zurück in die Zivilisation gefahren seid, wie sah die Welt plötzlich aus?

Beim Zurückfahren in die Stadt Uyuni sah die Welt für uns und alle Bolivianer anders aus. Zum Glück waren unsere Retter mit uns unterwegs. Überall Polizei mit Schlagstöcken, Militär mit Gewehren und Guardia Municipal SWAT unterwegs, Straßensperren überall. Man dürfe seit heute nicht mehr fahren für 14 Tage. Es gäbe einen Bus für uns. Wir sollen zur Polizei fahren. Ein Polizist stieg bei Saul ein. Wir mussten auf der Polizeistation alles erklären. Sie ließen uns gehen ohne Busse. Dann kamen wieder x Straßensperren. Sie haben uns nicht geglaubt, dass wir bereits auf dem Polizeiposten waren und zurückgeschickt. Michi fragte nach einem Papier, damit wir passieren können. Nein, das gibt´s nicht. Ein anderer Polizist lachte uns aus. Dann sollten wir begleitet werden. Das Polizeiauto kam zwei Straßen mit uns mit und ließ uns wieder alleine. Mussten nochmals mehrere Straßensperren passieren und dank Saul, unserem Retter, der alles auf Spanisch erklärte, kamen wir endlich zu unserem Übernachtungsplatz. Wir standen mitten auf der Plaza ohne WCs, ohne Duschen. Ein unhaltbarer Zustand. Am Montag wollten wir zum Amt Migraciones gehen und unsere Geschichte schildern. Wir hatten die Hoffnung, eine Spezialbewilligung zum Fahren zu erhalten. Draußen rumlaufen, durfte man nur noch bis 13 Uhr. Überall standen Soldaten mit Fiebermesser bewaffnet. Jeden Tag wurde den Passanten die Temperatur gemessen. Kinder waren auf der Straße nicht erwünscht. Ich wurde mit Leon zum Bus zurückgeschickt. Am zweiten Tag erkannte ein Einheimischer unsere Not. Für mich war er ein Engel in unserer Notsituation. Gonci hat ein Malergeschäft am Platz. Da er keine Aufträge mehr rein bekam, bot er uns seine Werkstatt an, um den Tag zu verbringen. Dort hatten wir eine Dusche, ein Bad und Wasser, um unsere Kleidung zu waschen. Wir sind ihm unendlich dankbar für seine Hilfe. Zwei Tage darauf, nachdem Michi auf drei Ämtern war, Policia de Transito, Migraciones, Policia de Turismo und erneut auf der Policia de Transito, erhielten wir ein Permiso, in Richtung unseres Ursprungslandes zu fahren. Wir wollten nach Sucre fahren, dem noch einzig offenen Camping in der Gegend. Dort warteten unsere Freunde auf uns und der Besitzer, der bereit war, uns als letzte Touristen aufzunehmen. Natürlich verlief auch diese Fahrt nicht ganz reibungslos. Bei Potosí, der ersten größeren Stadt, wurden wir angehalten und das Permiso wurde als ungültig erklärt. Nach langen Diskussionen, dem Gang zur Policía de Trafico in Potosí, einer medizinischen Untersuchung in Potosí und Sucre, wurden wir vorne von Interpol und hinten vom Krankenwagen zum Campingplatz in Sucre eskortiert. Seither sind wir hier bei Freunden in Sicherheit, allerdings unter Quarantäne, da wir uns durch den stetigen Wind auf der Salar de Uyuni erkältet haben. Wir dürfen für zwei Wochen nicht auf die Straße. 

Und wie hätten eure weiteren Reisepläne ausgesehen?

Bolivien hätte uns schon sehr gereizt, noch weiter zu besuchen. Danach Peru, Ecuador und Kolumbien. Von Cartagena hätten wir unser Berteli wieder nach Europa verschifft.

Corona in Bolivien – wie sieht die aktuelle Lage gerade bei euch aus? Was hat die bolivianische Regierung unternommen und angeordnet?

In Sucre sind wir sehr gut gestellt. Hier gibt es noch gar keinen Fall. Bolivien hat bis jetzt 91 Corona-Infizierte und 17 Verdachtsfälle. Die Zahlen sind steigend. Einige Touristen stehen unter Quarantäne, die hier 21 Tage dauert. Da wir schon eine Woche im Land waren, sind es jetzt noch 14 Tage mit Ausgehverbot und täglicher medizinischer Untersuchung. Die Einwohner dürfen nur noch von Mo-Fr bis 12 Uhr raus zum Einkaufen. Dabei zählt die letzte Zahl im Pass. 1&2 dürfen montags raus, 3&4 dienstags etc.

Wie fühlt ihr euch gerade? Wie sieht euer Tag aus? Und was macht ihr, um euch irgendwie abzulenken?

Uns geht es hier sehr gut. Wir haben Freunde vor Ort zum Austauschen und einen Garten zum draußen Sitzen. Wir kochen, machen Sport, spielen mit Leon. Physisch geht es uns gut. Es ist mehr die Situation rundum, die psychisch belastet. Wann kommen wir hier raus? Was passiert mit Berteli? Wann können wir es holen? Die Maßnahmen Boliviens werden voraussichtlich bis Mitte Mai fortgeführt, vielleicht auch länger.

Corona in Bolivien – eine gestrandete Familie erzählt

Ihr seid ja Schweizer und ich gehe davon aus, dass ihr mit eurer Botschaft in Kontakt steht. Wie ist der Stand der Dinge? Was genau ist die Problematik in Bolivien? Und habt ihr Hoffnung, dass ihr im Rahmen einer Rückholaktion zurück nach Hause könnt?

Am Anfang hieß es vom EDA, Ruhe bewahren und sich an die Weisungen der Obrigkeiten halten. Da es in Bolivien nicht viele Schweizer gebe, würden keine Rückholflüge von der Schweiz aus angeboten. Das war für uns ziemlich entmutigend. Inzwischen haben wir mit der deutschen Botschaft Kontakt aufgenommen. Diesen Donnerstag (2. April) und Samstag (4. April) fliegen die voraussichtlich letzten zwei Flüge von Santa Cruz nach Frankfurt und Paris. Wir stehen vor zwei Problemen. Santa Cruz liegt 10 Fahrstunden von uns entfernt und es herrscht Fahrverbot. Und selbst, wenn wir es zum Flughafen in Santa Cruz schaffen, so haben Deutsche, Franzosen und Risikogruppen Vorrang vor uns Schweizern. Sie entscheiden erst am Flughafen, wer mitkommt. Das EDA möchte nun Busse organisieren, die nach Santa Cruz fahren. Wir hoffen, dass uns einer davon mitnimmt. 

Was werdet ihr machen, sobald der ganze Corona-Spuk vorbei ist?

Soweit möglich, unsere Freunde und Familie wiedersehen und unseren Bus zurück in die Schweiz holen. 

Und wie sehen eure weiteren Reisepläne mit Kind aus? Vorausgesetzt, dass wir irgendwann mal wieder reisen können …

Die nächste Reise wollen wir in 6 Jahren wagen, wenn Leon von der Primar in die Sekundarschule wechselt. Basel – Kapstadt ist unser Traum. Mal sehen, ob wir diesen Traum umsetzen können. Gedanklich sind wir schon am Planen.

Corona in Bolivien – eine gestrandete Familie erzählt

 

 

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