Corona in Indien – unsere Erfahrung und warum ich und mein Kind in Indien bleiben

April 4, 2020

Corona bestimmt gerade unseren Alltag – und das weltweit. Die meisten Länder haben ihre Grenzen zugemacht, sich abgeschottet und Ausgangssperren verhängt. Diese drastischen Maßnahmen und zudem die zermürbende Ungewissheit haben viele Familien dazu bewegt, ihre Langzeitreise oder gar Weltreise mit Kind abzubrechen und nach Deutschland zurückzukehren. Da jedoch sehr viele Länder ohne Vorankündigung ihre Grenzen geschlossen und alle Flüge gestoppt haben, steckten (oder stecken immer noch) viele Familien im Ausland fest. Und genau um diese Familien geht es im Folgenden.

In meiner kleinen Serie «Corona – gestrandet als Familie in einem anderen Land» habe ich bereits über eine Familie in Argentinien und eine in Bolivien (Mexiko und meine eigene Geschichte aus Paraguay folgen noch) berichtet, die mehrere Wochen im jeweiligen Land feststeckten und im Rahmen der Rückholaktionen vom Auswärtigen Amt und den Deutschen Botschaften nach Deutschland zurückgekehrt sind.

Allerdings gibt es auch Familien, die sich gerade auf Reisen mit Kind befinden, und nicht vorhaben, zurück nach Deutschland zu kehren. Neben Josi, Olaf & Tochter in Thailand, auch Jenny (vom Blog ZweiumdieWelt) und ihre Tochter Valentina. Die alleinerziehenden Mutter hat sich bewusst dafür entschieden, mit ihrem Kind in Indien zu bleiben. Trotz Corona. Hier ist ihre Geschichte …

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Liebe Jenny, du bist mit deiner dreijährigen Tochter Valentina gerade auf unbestimmte Zeit in Asien unterwegs – aktuell in Indien. Magst du ein bisschen über deine Reise mit Kind durch Asien erzählen? 

Hallo Gabriela, danke für das Interview. Ja genau, ich bin auf unbegrenzte Zeit mit meinem Kind in Asien unterwegs. Wir sind im November nach unserer Wohnungsauflösung nach Bangkok geflogen und über Land nach Kambodscha eingereist. Nach 2 Monaten in Kambodscha war ich auf der Suche nach einem Abenteuer und wir sind in Indien gelandet. Und zack: Wir stecken nun mittendrin. 

Corona in Indien – wie sieht die aktuelle Lage vor Ort aus? Was hat die indische Regierung angeordnet?

Als wir Anfang Februar 2020 in Indien eingereist sind, fanden körperliche Untersuchungen am Flughafen statt, die aber recht spärlich waren. Das erste Mal, dass mich persönlich die Corona-Krise einschränkte, war eine Situation in einem Ashram Ende Februar. Wir sind extra eine stundenlange Strecke dahingefahren, um dann aber am Eingang abgewiesen zu werden, da wir zuvor in Thailand und Kambodscha waren. Anschließend merkte man von Corona in Indien lange nichts. Erst 5 Wochen später im März hieß es plötzlich, dass es einen Sonntag mit freiwilliger Ausganssperre geben wird. Die funktionierte dann so gut, dass drei weitere Tage folgten. Indische Logik! 

Am gleichen Tag erließ der Minister ein Gesetz, dass Ausländer keine Roller und Autos mehr mieten dürfen. Die Vermietung von Wohnungen und Gästezimmern wurde auch größtenteils untersagt. 2 Tage später teilte man uns mit: Mindestens 21 Tage Ausgangssperre sind angesagt. Am gleichen Tag wurden auch die Landesgrenzen komplett geschlossen. 

Nur noch 1 Person darf während der Ausgangssperre für das nötigste raus. Alle Shops, Restaurants, Supermärkte etc. würden schließen. Am Abend deckten wir uns noch mit Essen ein. Da waren wir aber nicht die einzigen. 

Die Shops sind seitdem entweder fast leer gekauft oder öffnen heimlich. Man sucht sich im ganzen Dorf irgendwie seine Sachen zusammen. Meist bei Privathäusern. Auf dem Schwarzmarkt und so fühlt es sich auch an. Seit der Ausgangssperre wurde kein Obst mehr geliefert. Und auch sonst kommt wenig bis keine Lieferung durch. 

Kurzfristig wurde für 11 Stunden das Gesetz erlassen, dass die Supermärkte und Shops rund um die Uhr öffnen dürfen, damit kein Andrang herrscht. Aber leider waren zu viele Menschen auf den Straßen und zack war wieder alles zu. 

Zum besseren Verständnis: Meine Tochter und ich befinden uns aktuell in einem Dorf namens Agonda (Goa) im Dschungel. Ich bin hier Freiwillige über Workaway und sorge dafür, dass der Laden läuft. Wir wohnen in einer Bambushütte im Grünen, 5 Fahrminuten vom Beach entfernt. Mit uns leben gerade 4 andere Personen hier aus Deutschland und Kanada. Wir kochen zusammen und leben zusammen gerade mit allen Höhen und Tiefen. 

Corona in Indien – ich sitze es mit meinem Kind in Indien aus

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Was waren deine Gedanken, als du von der Ausgangssperre in Indien erfahren hast?

Bei den ersten drei Tagen war ich noch relativ gelassen, als dann aber die Ansage mit den 21 Tagen kam, war ich schon geschockt. Aber am meisten machte mir das Hörensagen oder Veröffentlichen von Videos zu schaffen, bei denen man die indische Polizei sah, wie sie Menschen mit Bambusstöcken schlug. Das triggerte Angst in mir. Ich wollte nicht, dass meine Tochter so etwas sieht oder dass es jemandem von unserer Anlage hier passiert. Ich war besorgt. An einem Tag stand ich auf und war einfach traurig. Ich trauerte und weinte um meine verlorene Freiheit. Obwohl wir die ganze Zeit draußen (in der Hitze) verbringen können, ist es dennoch schwer gewesen, es zu akzeptieren. 

Inwiefern hat Corona deinen Alltag in Indien mit Kind verändert? Und was macht ihr, um euch abzulenken?

Nun ja, wir können weder morgens noch abends zum Strand fahren. Man kann nicht mehr einfach einkaufen gehen. Anfangs musste ich meiner Tochter immer sagen, dass es gewisse Lebensmittel gerade nicht mehr gibt und dass alles zu ist. Wir mussten uns hier als Gemeinschaft zusammenfinden. Das war für mich anfangs sehr schwer, aber geht es uns echt gut hier. Meine Tochter hat in den letzten Tagen begonnen, hier mit einer anderen Freiweilligen zu spielen. Das ist etwas ganz Neues für uns, da meine Tochter auch kaum Fremd- oder Familienbetreuungserfahrung hat. Und total genial ist, dass wir seit neuestem zum Nachbarn auf dem gleichen Hang zum Spielen gehen können. Er hat unter anderem eine Schaukel und ein Trampolin für sie.

Corona in Indien – ich sitze es mit meinem Kind in Indien aus

Die meiste Zeit widmen wir hier echt dem Kochen 😊 Die Kanadierin hier ist eine absolute Kochliebhaberin und wir zaubern immer mit den wenigen Sachen mega tolle Gerichte. 

Ansonsten arbeite ich an meinem Blog ZweiumdieWelt oder an meinen Coachings. Ich verdiene unser Geld nämlich ortsunabhängig als virtuelle Assistentin. Ich bin als Texterin und im Bereich Social Media (Instagram und Pinterest) tätig. 

Wie fühlst du dich? 

Wie bereits gesagt, ich hatte in der letzten Woche erst mit Trauer um meine Freiheit zu kämpfen und dann kam ANGST. Aber nicht vor diesem Virus. Sondern ums Essen. Ich verkrampfte da total. Ich war geschockt, dass alles zugemacht hatte und hatte die Wahrnehmung, dass die Menschen, mit denen ich zusammenlebte zu viele Zutaten für einzelne Gerichte verwendeten. Ich wollte sofort anfangen Lebensmittel zu sparen und minimalistisch kochen, aber das funktionierte nicht.

Aber ich lernte locker zu lassen, ins Vertrauen zu gehen und ich muss sagen, dass ich das erste Mal in meinem Leben die Erfahrung gemacht habe, wirklich darauf vertrauen zu können, dass für uns gesorgt wird. Von Einheimischen, dem Universum oder wie auf immer man es nennen möchte. Ich habe mich die letzten Tage so gesegnet gefühlt, gerade hier diese Krise zu erleben und daran zu wachsen. Ich bzw. wir beide wachsen gerade unheimlich viel. Das ist ein großartiges Gefühl. Ich merke wie ich zu mir finde und in meine Kraft komme. Und ich freue mich, dass die Natur von dieser Krise so profitiert. 

Welche Befürchtungen hast du?

Ich möchte nichts befürchten. Ich möchte weiterhin vertrauen: Dass alles Gute kommt, dass für uns gesorgt wird und dass es für alles einen Grund gibt. Natürlich habe ich hin und wieder Gedanken wie „Ohje, ich hoffe es kommt keine Impfpflicht für diesen Virus“ oder „Hoffentlich wird man danach einigermaßen normal reisen können“, aber das bringt mir nichts. Ich kann nur das Hier und Jetzt beeinflussen und nicht die Zukunft. Buddha sagte einst: „Willst du traurig sein, dann schau in die Vergangenheit. Willst du ängstlich sein, dann schau in die Zukunft. Und willst du glücklich sein, dann leben den Moment.“ 

Corona in Indien – ich sitze es mit meinem Kind in Indien aus

Und was macht dir Hoffnung?

Ich habe lange über diese Frage nachgedacht. Ich finde Hoffnung taucht meist dann auf, wenn man gerade eine negative Emotion lebt und sich einen Ausgang daraus wünscht. Für mich ist die Situation hier in Indien mit Kind nicht die schönste und einfachste, aber ich habe sie akzeptiert und bin sicher, dass wir sie gut meistern (werden). Ich kann aber sagen, dass ich mir wünsche, dass die Grenzen bald offen sind. Dass das Gefühl der Freiheit wieder greifbarer wird für jeden.  

Das Auswärtige Amt und die jeweiligen Botschaften im Land organisieren ja gerade Rückholaktionen, um Deutschen und anderen EU-Bürgern die Möglichkeit zu bieten, wieder nach Hause kehren zu können. Du hast dich dagegen entschieden – und möchtest weiterhin mit deiner Tochter in Indien bleiben. Warum?

Aus mehreren Gründen. Zum einen haben wir nichts mehr in Deutschland: Keine Wohnung, keine warme Kleidung für meine Tochter, keine wirkliche Bleibe. Wir kämen nicht einfach bei der Familie unter für unbestimmte Zeit. Wir müssten innerhalb Deutschlands auch als Nomaden umherziehen, was aktuell dort vermieden werden soll. Zudem haben wir nicht sonderlich viel Geld (für deutsche Verhältnisse) und meine Ersparnisse würden wahrscheinlich nach wenigen Monaten aufgebraucht sein. Wir könnten wahrscheinlich nicht nochmal Richtung Asien losziehen, sondern würden wieder ins System rutschen. Außerdem gilt unsere Langzeitsauslandskrankenversicherung nur 6 Wochen in Deutschland. 

Zweitens kommt es emotional für mich einfach nicht in Frage. Ich habe Deutschland aus für mich wichtigen Gründen verlassen und auch gesagt, egal was kommt. Also sitze ich das jetzt hier auch aus. Natürlich würde ich in absoluten Notfällen eine Rückkehr in Erwägung ziehen, aber diesen Punkt haben wir noch nicht erreicht. 

Corona in Indien – ich sitze es mit meinem Kind in Indien aus

Hast du als alleinerziehende Mutter nicht Angst, dass die Lage in Indien wegen Corona eskalieren könnte?

Ich möchte, wie gesagt, nicht in Angst leben, sondern im Vertrauen. Ich erfahre hier so viel Hilfsbereitschaft, gerade auch, weil ich eine kleine Tochter dabeihabe. Die Menschen geben uns sehr viel. Die Gruppe profitiert eindeutig durch die Existenz meiner Tochter. Sollte aber hier irgendwas wirklich brisant werden, werden sich Möglichkeiten finden lassen. Wir haben zudem auch wirkliches Glück, dass wir in einem kleinen Dorf am Meer festsitzen und nicht in einer indischen Großstadt. Dort ist die Situation (laut Medien) doch etwas anders als hier. 

Was wirst du machen, sobald der ganze Corona-Spuk vorbei ist?

Wahrscheinlich ins nächste Flugzeug nach Sri Lanka steigen. 😊 

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir, dass die Menschheit sich ein Stück entwickelt hat. Dass die Leute wieder reisen können und wollen und dass ich ihnen dabei in meinem Coaching helfen kann. Ich wünsche mir, dass wir Sri Lanka bereisen können. Dass ich weiterhin als Freiwillige vor Ort helfen kann und dass wir noch viele Palmen und Strände sehen. Und wilde Elefanten.  Ich wünsche mir, dass wir uns wieder frei fühlen!

Und wie sehen deine weiteren Reisepläne mit Kind aus? 

Das weiß ich noch nicht konkret. Ich werde auf die Weltlage Rücksicht nehmen müssen. Ich hoffe mein Traum mit Sri Lanka erfüllt sich und anschließend würde ich gerne nach Indonesien. Mal schauen, welches Abenteuer noch auf uns beide wartet …

Corona in Indien – ich sitze es mit meinem Kind in Indien aus

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